Agrigento

Quellen:
Text:  Kapitel 8Reisebericht "Frühlingstage in Italien und auf Sizilien"
         von , erschienen
Überschriften, Bilder und Kommentare:  Britta Bohn
Veröffentlicht am:  06. April 2012
Letzte Änderung:  13. Mai 2020

 

Abfahrt in Palermo


Von der liebenswürdigen Familie Lejaccono zur Bahn in Palermo geleitet und mit Blumen und dem berühmten sizilianischen Konfekt beschenkt, sagen wir nun diesen reizenden Menschen Lebewohl, um der südlichen Küste Siziliens zuzueilen. Die Fahrt ist voller landschaftlicher Reize. Sie geht zuerst bis Termini Imerese am Meere entlang. Der Monte Pellegrino grüßt uns noch länger als eine Stunde, als Wahrzeichen des verlassenen schönen Gestades.

Dann fährt die Trenitalia bis Agrigento durch ein Bergland ohne Baumbestand, aber mit sorgfältiger Kultur von Weizen, dicken Bohnen und Wein. In Agrigento angelangt, fahren wir auf 20 Minuten langer, in Staubwolken gehüllter Straße zu dem interessanten Hôtel des Temples. Die Gegend um das Hotel herum besitzt starre, antike Formen. Mauerntrümmer, merkwürdige verfallene Bauwerke durchziehen das sanft nach dem Meere abfallende Gelände, das durch die in einsamer Größe am blauen Meeressaume gelegene Tempel belebt wird.

 

Ankunft in Agrigento


Gleich nach unserer Ankunft hatten wir in Agrigento ein kleines, vergnügtes Abenteuer. Vor acht Jahren hatte nämlich unser Moskauer Freund hier einen Lehrer am Lyceum kennengelernt, der ihm bald in sizilianischer Freundschaft zugetan wurde. Diesen Herrn, Namens "Fedele" beschließen wir aufzusuchen und begeben uns durch Lehmmauern und Ziegenherden zur Stadt, wo sich uns ein ungemein aufgeweckter Bengel als Führer anbietet und nun zu sämtlichen Fedeles von Agrigento schleppt. Überall trommelt er die Leute mit großer Wichtigkeit heraus, führt uns in ihr Wohnzimmer, räumt den Tisch ab, bietet uns Stühle an und eraminiert den Hausherrn, ob er vielleicht der Gastfreund von damals sei. Die Frechheit des jugendlichen guida macht uns staunen, aber die Sizilianer scheinen sie als ganz selbstverständlich zu finden; sie unterhalten sich mit uns in größter Liebenswürdigkeit, indem sie uns ihre Familienmitglieder vorstellen.

So kommen wir endlich auf halsbrecherischen Steintreppen in die Wohnung eines Photographen, der sich als Bruder des Gesuchten entpuppt. Sowie unser kleiner guida dies hört, stürzt er sofort hinaus, um den Professor zu holen, mit dem er auch in kurzem ankommt. Inzwischen führt uns der brave Photograph seine zahlreichen Sprößlinge vor und ruft zum Schluß mit einer klagenden Gebärde, wie sie nur ein Sizilianer fertig bringt, den Himmel mit der Bitte an, es nun genug dieses Segens sein zu lassen. Die Wiedersehensfreude des Professors war rührend; übrigens erschien auch er durch rapides Anwachsen der Kopfzahl seiner Familie sorgenvoll bewegt.

 

Im Tal der Tempel


Aber nun zu den Tempeln.

"Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte,
Wie ganz anders, anders war es da,
Da man deine Tempel noch bekränzte,
Venus Amathusia!"

Ja, es muß eine glorreiche Zeit gewesen sein, als diese Höhen, die jetzt noch mit großartigen Trümmern bedeckt sind, das alte Akragas, eine Stadt von fast einer Million Einwohner getragen haben, als diese, im Blütenschmuck der Mandelbäume prangenden Gärten noch das mit malerischer Gewandung bekleidete Volk der Griechen in gymnastischen Spielen vereinte, als diese Reste der antiken Stadtmauer noch die waffenstarrende Besatzung in ihren wohlgebauten Kasematten beherbergte, als unten in der Ebene zwischen Bergen und Meer ein fremdes Volk nach dem andern seinen Schiffen entstieg und seine Zelte aufschlug.

Und jetzt liegt alles in Trümmern, nur die Tempelruinen zeugen noch von der einstigen Macht und Größe. Welche Gefühle werden erweckt, wenn man zunächst den auf einem isolierten Hügel erbauten Tempel der Hera betritt und daran denkt, daß bereits vor 2400 Jahren hier ein hochentwickeltes Volk zu seinen Göttern gebetet hat! Der Tempel besaß ehemals 34 kannellierte Säulen. Jetzt befinden sich nur noch etwa 20 in einigermaßen gut erhaltenem Zustande. Die Gesimse sind fast vollständig zertrümmert; durch die freien Räume blickt man aufs Meer und den tiefblauen Himmel, die einzigen unveränderten Zeugen der damaligen Welt.

Größer und besser erhalten ist der Concordia-Tempel, der "Glanzpunkt Siziliens". Er besitzt 34 kannellierte, dorische Säulen; Architrav, Sims und Giebel sind noch in gutem Zustande. Was uns in Erstaunen versetzt, ist der Umstand, daß diese aus Mauerwerk bestehenden Säulen den Stürmen der Jahrtausende so erfolgreichen Widerstand geleistet haben.

Lange verweilen wir in der klassischen Wildnis dieses Tempels und lassen seine feierliche Majestät auf uns einwirken, bis die Zeit zum Aufbruch zum Tempel des Zeus drängt. Nach den Resten der 11 m im Umfange fassenden Säulen mit Kannelierungen, in denen ein Mann Platz hat, sowie nach einer ungeheuren Karyatide zu urteilen, die in viele Bruchstücke zerschmettert zwischen den Trümmern liegt, muß dieser Tempel von riesigen Dimensionen gewesen sein. Er ist nie vollendet gewesen, die Eroberung Agrigentos durch die Karthager unter Hamilkar setzte seinem Weiterbau ein Ziel. Im fertigen Zustande würde er wahrscheinlich das größte Bauwerk des klassischen Altertums dargestellt haben. Die zerstörenden Kräfte waren Erdbeben und Menschenhände; ein großer Teil seines Materials wurde zum Bau der Mole von Empedocle, des Hafens von Agrigento, verwendet.

Wir verlassen diese ehrfurchtgebietende Ruinenwelt und gelangen nun zu dem Trümmergewirr des einstigen Herkules-Tempels. Berge von Resten kannellierter Säulen, Kapitellen, Simsstücken, Wandskulpturen, alles überwuchert von frischem Grün, das sind die Überreste der hehren Götterstätte, über die jetzt alljährlich die Füße tausender von Reisenden aus allen Kulturländern flüchtig hinwegschreiten.

Vom ebenfalls gänzlich verfallenen Dioskuren-Tempel endlich ist eine aus vier dorischen Säulen und den dazugehörenden Oberteilen bestehende Ecke vollständig wieder aufgerichtet worden und bringt in die starre Trümmerwelt etwas reizvolles Leben.

Auf dem Wege zwischen den Tempeln besuchen wir noch eine antike Katakombe mit gut erhaltenen Nischen und Sarkophagen, die aus dem gewachsenen Fels ausgehauen sind, und deren einige zur Aufnahme der Gebeine vieler Menschen zu gleicher Zeit dienten. In manchen Einzelsärgen befinden sich noch aus Knochen gebildete, dem Boden durch Staub und Feuchtigkeit eingebettete Gerippezeichnungen. Der Custode überreicht uns ein Stückchen dieser Gebeine mit dem Bemerken, daß es nach sizilianischer Auffassung Glück bringe; wir wollen es zum guten Zeichen für unsere Reise durch Sizilien nehmen. Auch die Tomba di Terone, das Grab des Theron wird noch besucht, ein merkwürdiger Bau in Form der Basis eines Turmes.

 

Der Dom von Agrigento


Überhaupt ist Agrigento reich an sonderbaren Bauwerken, deren Äußeres ihre Bestimmung kaum verrät. Das hervorragendste Gebilde dieser Art ist der aus dem 14. Jahrhundert stammende Dom, in dem ein antiker Sarkophag mit einer Darstellung der Phädrasage von besonderer Schönheit ist. Goethe sagt von ihm: "ippolyt, mit seinen Jagdgesellen und Pferden wird von der Amme Phaedras aufgehalten, die ihm ein Täfelchen zustellen will. Hier war die Hauptabsicht, schöne Jünglinge darzustellen, deswegen auch die Alte, ganz klein und zwergenhaft, als ein Nebenwerk, das nicht stören soll, dazwischen gebildet ist. Mich dünkt, von halberhabener Arbeit nichts Herrlicheres gesehen zu haben; zugleich vollkommen erhalten. Es soll mir einstweilen als ein Beispiel der anmutigsten Zeit griechischer Kunst gelten."

Sehenswert ist ferner das ehemalige Kloster San Nicola, ferner das Oratorium des Phalaris (Capella di Falaride) und die Rupe Athenea, eine Terrasse aus dem höchften Punkte der Stadt, wo einst die Akropolis und der Tempel der Athene gestanden haben sollen. Endlich ist noch eine ruinenhafte normannische Kirche zu erwähnen auf den Resten des Tempels der Demeter und Persephone, nach anderer Lesart des Flußgottes Akragas.

Wenn sich seit Goethes Zeiten das allgemeine Aussehen der Tempel und der Stadt wohl kaum wesentlich verändert haben mag, so ist dies um so mehr der Fall hinsichtlich der Gasthausverhältnisse. Während Goethe mit einem Alkoven an einem Familienzimmer vorlieb nehmen mußte und von den nudelnfabrizierenden Hausgenossen nur durch einen grünen Vorhang getrennt schlief, umgibt uns unser behagliches Hotel mit allen Bequemlichkeiten. Wir ergehen uns in seinem im Schmucke der Mandelblüten prangenden Frühlingsgarten und fühlen uns der klassischen Zeit um so näher, als bei jeder Pflanzung eines Bäumchens der Spaten der Arbeiter antike Scherben zutage fördert. Einer der Leute verkauft uns altgriechische Münzen; vom Hotelportier erstehen wir eine kleine Larenbüste. Wir selbst finden eine Menge Überreste von tönernen Gebrauchsgegenständen aus jener Zeit, wie überhaupt der ganze Boden weit und breit hier mit klassischen Trümmern durchsetzt ist.

Unter den Blütenbäumen vermehren zahlreiche Asphodelen und die schöne Anemone italica sowie eine kleine blühende Arumart den Beweis, daß wir uns in der Zeit der prima vera siciliana befinden. Die Sonne sinkt westlich der Tempel in ruhiger Pracht ins Meer; das ist kein "seelenloser Feuerball", nein, das ist "Helios in stiller Majestät".

Urlaub in Sizilien

Zu Zeiten von Ernst Ziegeler konnten sich nur wenige Menschen einen Urlaub auf Sizilien leisten. Heute kommen Sie mit dem Flugzeug in zwei Stunden vom Norden Europas zu einem der drei internationalen Flughäfen Siziliens. Dort bieten sich Mietwagen, Busse und Anschlüsse der Trenitalia zur Weiterfahrt an.

Der Tourismus ist mittlerweile einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Siziliens. Die Sonnen-Insel bietet daher viele Hotels. Ferienwohnungen mit deutschsprachiger Betreuung gibt es dagegen selten. In diesen drei Urlaubsorten ist das anders:

 

 

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